zeilen an jemanden, der nicht (mehr) da ist


ich höre deine schritte, immer höre ich sie
auf der schwelle, die das leben teilt:
in innen und außen
deine nackten füße stecken fest
im fort und hier sein
morgens gehe ich durch dich hindurch
spüre warme luft eines körpers
im mauerwerk noch gerüche
nach heu und fell von tieren

ich kann die tür nicht mehr schließen
seit du hier stehst und gehst
zugleich


( für Anton, 24. 3. 2015)

Gabriele Pflug

von der sehnsucht 2


schaukelndes atmen überall hin
streift mein blick den himmel
zwischen den birken franst licht aus

fällt winterlich die zeit
aufs papier das wort
eine vererbte sehnsucht
weiter nichts wurde mir
in die wiege gelegt
Gabriele Pflug

Heimat


nasskaltes Erzittern
Atemstaub auf Nachttischen
ein Stern zwischen zwei Bäumen, fern
eine Lichtlinie

und dennoch:
im Schweren zuhause
 
Gabriele Pflug

Weihnachten 2016

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern
ein friedvolles und erfüllendes Fest!
Danke für die Lesetreue!

Herzlichst
Gabriele

Schatten


nicht, dass der Schatten
seinen Schmerz verloren hätte
doch immer seltener sinkt
er von den Bäumen
aus dem Holundergrau
mit einer Handvoll Trost

nun fällt er von den Menschen
an seinen Sätzen hängt
der Atem heißer Wörter
und übertönt was früher
leise zu meinen Füßen lag
 
Gabriele Pflug

frühe Stille


die Brache des Morgens
noch ungesät mit Worten
eine stille Insel
 
Gabriele Pflug

Advent


von der Hoffnung berührt
machen wir uns auf den Weg
die Abtei des Lichts öffnet ihre Pforte
und ein Schneewort nach dem anderen
wispert zu Boden

voll Rätsel bleibt die Sprache der Engel
 
Gabriele Pflug
 

Engel


versinkender Mond gegen Morgen hin
wendet sich die Stadt silberne Kuppen
im ausgeblichenen Blau ein letzter Flug
des Nachtengels sichtbarer dunkler Flaum
für einen Moment steht der Wind unbeweglich
über seinem lautlosen Wintergebet
 
die Übergabe der Namen an den Tagwächter
findet in aller Stille statt
 
Gabriele Pflug

an die Freundin


Wo noch Überlandleitungen
Nachrichten verschicken

ein Knistern von Wörtern
zwischen dir und mir

öffnet sich der Himmel manchmal
wenn wir sie entschlüsseln

Für Diana/meine Schreibfreundin
 
Gabriele Pflug

die unerträgliche Zeit


steigt an mein Herz
das Wasser Sterbender
lässt den Sommer ausbluten
und hinterlässt Scherenschnitte
voll Schatten
Gabriele Pflug
 
In Aleppo werden in Kellern Kinder und Erwachsene ohne Betäubung operiert.Wir schreiben das Jahr 2016.

Schneegestöber


aus Schwarzträumen schwingt Herzläuten
über die weiße Weite
wandert ein graugeschälter Himmel

durch den Linnenriss
fällt gezwirntes Licht

Gabriele Pflug

über die Sehnsucht


Anis und Kümmelkrümel gegen die Nachtgram
gegen die Augenbilder die aus den Höhlen
wachsen und keines ist des andern
Umarmung ich stähle mich gerne ein wenig
auf und davon über die Treppenschwärze

aus Schnee ist das Gemälde der Stille
die Pforte nach innen geöffnet
einflockende Sicht und Neumondstein
an der Lichterkette des Himmels
 
Gabriele Pflug

eine winterkarte aus klam



ein hügelbild: nichts eckiges
nur geschwungenes schweigen
nachts sind die gehöfte
verglühende sterne
im gefalteten schatten
blüht manchmal ein mond auf

jemand sagt die dunkelheit
sei ein wildes tier
das den schwermütigen
die haut vom leibe ziehe
sonst fällt kein einziges wort
in der kälte

werden gedichte
zu wegbeschreibungen
ihre spuren glitzern wie flügel
die gegen fröste schlagen
 
Gabriele Pflug

vor dem ersten frost


vielleicht sollte ich
meine gedichte einwintern

in der mulde des vergessens
wären sie sicher
vor dem zugriff des schmerzes
 
Gabriele Pflug

trostgedicht für mich (besonders heute)


lass mich taumelnd fallen
in ein bild voll schnee
unter dem winterhimmel
atmet licht
ein meer aus eis
 
Gabriele Pflug

raubzug


vollen munds
begehen wir landraub
und fühlen uns
bedroht
von so viel
armut
 
Gabriele Pflug

der himmel in uns


es wird wieder winter sein
rauchzeichen aus mündern
und verdunkeltem blick

unmittelbarer der gedanke
an tod seine gedeckten farben
aus moder und dunst

doch sind die nächte
umsäumt von deinen worten

hell zeichnen sie
den himmel nach
 
Gabriele Pflug
 

allerseelen

die toten
wort für wort
beatmen

Gabriele Pflug

erntezeit


(für mo)

wenn die sprache
aus dem winterexil
in die welt wächst

schlafende verse
von den umklammerungen befreit

die pfauensonne
ihr rad übers papier schlägt
und tote winkel lichtet

werden wir worte ernten


Gabriele Pflug

man sollte nicht schreiben


man sollte nicht schreiben
in der umnachtung des schlafes

färbt die schwärze alle wörter
gebärden sich wie kleine mörder

nur über der senke
blüht schon erster schnee


Gabriele Pflug

himmel II


du schreibst dich
ins gedächtnis
der gräser, der bäume
eine ganze zeile füllst du
mit dem wort himmel

und dennoch bleibt
die finsternis
beständig hinter der tür
ein fühlbares schwarz
 
(aus der blauen reihe/himmelsgedichte)
Gabriele Pflug

herzenswünsche


von den albatrossen
die blaue losung erbitten

keine mitte anstreben heute
mit geschlossenen augen
das dunkle ausleuchten

gesprochene gedanken
nach glaubhaftigkeit abklopfen

die abgelaufene zeit
wieder händisch aufziehen

dem schnurren der rädchen lauschen
 
Gabriele Pflug

im licht des lebens


der wind, der über dem feld steht
die sterne, ihr wimpernschlag in der nacht
alle geschöpfe, behauste
und unsichtbare
führen uns zu uns
alle bäume und menschen, ihre sprache
im regen im licht alle worte
die trösten die wärmen, alle namen
schreiben sich in die haut am ende
füllen sie uns bis zum grund
Gabriele Pflug

eine liebe im herbst


du bist jene, die aus dem schatten stieg
heute morgen, schweigsam mit hellem kleid
und langem haar im vorübergehen
als hätte ein stern dich gestreift
blitzte deine gestalt, trugst etwas fremdes
vor dir her, schalen mit herbstfeuern
gerüche von äpfeln umspülten deine schritte
geheimnisvolle, dein lächeln galt nur mir
unruhig wurde mein herz, ein sturm kam auf
doch kein blatt bewegte sich unter deinem fuß
glimmte das feld ockerfarben wie deine haut

jetzt ein gedicht schreiben auf deine augen
die leise bewegung des arms
kaum hatte ich mich gefangen
hing noch ein duft von rosen
und harz im birkengeflecht
 
Gabriele Pflug

himmel auf papier


ein bogen papier
streift den himmel
und es beginnt
zu regnen, wörter

elemente des lebens
 
Gabriele Pflug

der gott meiner mutter


trägt einen langen bart
in dem sich die sünden
der abtrünnigen verfangen
seine augen sind hohl
von schrecklichen träumen

manchmal kommt
ihm schon was durcheinander
in die jahre gekommen, wie sie
hört und sieht er immer schlechter
kein wunder, dass die welt
solch ein tollhaus geworden


Gabriele Pflug

ohne titel/2


der morgen ist
eine sich aufblätternde welt
eine lichtbenetzte landschaft
durchzogen vom hahnenschrei
der längst als exilant
in den wäldern lebt

es soll noch menschen geben
die auf feldern nach worten schürfen
und sie an zweige hängen

für die träume
nachgeborener

Gabriele Pflug

ohne titel/1


widerhall eines versunkenen landes
blass fällt sein ton ins ohr

im nebel der gesänge
liegen zitternd die wälder

Gabriele Pflug

licht der provence

meere fluten und sonnen
benetzen die landschaft

cezanne steigt übers gebirge
und spricht zu seinen farben

Gabriele Pflug

wenn der herbst

blumen binden lässt
zu einem bouquet
mit ein wenig himmel
grau beschleift
und der erde grußlos
zu füßen legt

erfindet sich ein gedicht
ins dunkel, wurzeltief


Gabriele Pflug

für meine mutter


leg fleisch aus für die füchse
in einer versunkenen welt,
in dem wald, der immer jung
in deinen augen grünt

wenn du den innenhof deines lebens
mit langen schritten abzählst
schau nicht auf die uhr
ihre zeiger verweisen nur
auf vergangenen schmerz

der nächste schneesturm wird
die begrenzungsmauern verwehen
und heller wird die sicht
auf dich
Gabriele Pflug

herbst


auf dem küchentisch liegengebliebene
reiskörner, ihre blässe
lässt dich an den kommenden winter denken
an den tod, der durch die bäume streift
für unbestimmte zeit
bleibt der pass in deinem besitz

auf den feldern der geruch von rehen 
ihre abgehetzten laute
zitternde luft zwischen den halmen

du isst knoblauch
doch der teufel steckt fest
müde magst du nicht mehr
nachdenken über abgründe
das glück kann sich erträumen
wer daran glaubt, versprechen rezepte
ohne rücksicht auf wirklichkeiten

die schatten in den ecken
singen mit dünnen stimmen
du hörst sie auch, wenn sie schweigen

der pförtner der dunkelheit heißt herbst
noch ist nicht aller tage abend
viel grau und grobes licht auf dem flur

wann hast du das letzte mal geträumt?


Gabriele Pflug

totenlied für den wald


für jeden gefallenen
macht der wald ein kreuz
und weicht einen schritt zurück

dieser herrliche herbst hungert
nach land nach beton

behelmte erobern einen hügel

nach dem anderen die südflanke
wird nicht mehr lange halten

unverzüglich schreiten
die sägen voran
 
Gabriele Pflug

von all den sommern


von all den sommern
gibt es einen der trug reichlich
frucht und worte zwischen uns
blieben nur gegen mittag
schwüre gänzlich aus

in der stille roch es
nach feuchtem moos
und haut sprach von erschöpfung
wenn regen die hitze gelöscht
blieben die bäume
in ihrer wärme noch
lange hingen die äpfel
und reiften stück für stück
 
Gabriele Pflug

im herbstgarten

steigt die sonne spät
in den tag reifendes blau

sickert durch sträucher
fülle und kommende leere

im herbst sinkt der garten
in sich in den eigenen atem

fern eines himmels
voll licht


Gabriele Pflug

die sonnenuhren sind stehen geblieben


ausgesommerte wege
die hellen samen der steine
haben letzte wärme in die nacht gestreut

deine stimme führt nicht
über das leise wort des abschieds hinaus
sie bleibt dem haus des winters treu

jeder weitere mond verliert an licht
es ist, als würden all die jahre
ihre kreise nach innen ziehen

du hungerst und frierst
und auch der wind wird
deine träume nicht mehr entfachen

die sonnenuhren sind stehen geblieben
 
Gabriele Pflug

in memoriam


für Markus (1959-2016)
und ein schlaf
wuchs dir ans herz
ein letzter, tiefer

verzweigten die bäume sich
stille strich über die felder
und eine späte lichtsaat ging auf

kein himmel stürzte ein
als du alle stufen
auf einmal nahmst

Gabriele Pflug

gehen IV


mir grünt ein gedanke
in den sich verästelnden tag
eine in die wiesen geschriebene
fata morgana eines ewigen sommers

später,
wenn alle hügel das blau einläuten
werde ich mir ein herz nehmen
und das unsichere tal
verlassen
 
Gabriele Pflug

regenlicht


durchquert den tag
von sense zu sense
dengelt sich
ein ton der unruhe


Gabriele Pflug

der stand der dinge


ein vom regen
hinterlassenes grün
in teichen, pfützen, pflanzen
stimmen, innerster singsang
im versunkenen gras
vereinzelte hufabdrücke
von sommerpferden, wildlaunig
ihr haar und versprengte herzschläge

der wald ist heute ohne vorhang
weite sicht in richtung mittag
luftleicht leben
im rhythmus des lidschlags
überweist der himmel sein blau
an gebrochenen herzen
Gabriele Pflug

gehen III


eines tages wirst du
mehr und mehr anker lichten
durch deine finger wird
licht flirren der wind
dich von den küsten
immer weiter lösen
und das wort himmel
wird vor dir ins meer fallen
Gabriele Pflug

kindheit


kindheit:
wälder und flussgrün
über den feldern
aufgefädelte sonnenstunden
unter der sense der ton
des fallenden grases
brotzeit und erdäpfelkraut

schon früh treten
die toten in sein leben
bleiben bei tisch
mit freundlichem blick aufs kind
es rückt den stuhl näher
und weiß ihren schutz
in den nächten
wenn die sterne fallen
wenn die toten den zeigefinger
zum mund führen
und die stille ankündigen
beginnen sie zu tanzen
mit offenem haar

es gibt keine räume mehr
nur helle weiten
von wind umzäunt


Gabriele Pflug

 
 
 

 

nicht viel


vielleicht eine lichtung
inmitten abgedunkelter räume

einen unverstellten blick
auf die taumelnde zeit

vielleicht ein gedicht, gewachsen
aus dem mangel an worten
Gabriele Pflug

eines morgens


hat es sich ausgeträumt
das bittere des kaffees
ist wirklichkeit geworden
die welt
ist ins gedicht gestiegen
hat sessel
und tische umgeworfen
und das brot
hart gemacht
bücher wurden
von den stellagen gefegt
die seiten herausgerissen
wie abgestorbene flügel
liegen sie im staub
die liebe räumt
nicht mehr auf
sie hat sich
aus den zeilen gestohlen
und ist bereits
auf der flucht


Gabriele Pflug

gehen II


angedachte weiten: breit gewürfelte weizenfelder
manchem wächst der schwarze schlaf des mutterkorns
niemandes mund mehr den deinen nennen
nur noch umrisse von sätzen anderer
vorwurfsworte, blass und bleiche
bruchstücke eines vermeintlich ganzen
etwas zittert, fern
ein licht wie glas
leises klirren von wind in den halmen
Gabriele Pflug

gehen I


lied des hohen sommers
von den feldern her
simmern die kerne des weizens
aus den bäumen
fällt das echo der störche
und in bienenstöcken
werden sonnen gewebt

du wirst das haus deines freundes
nicht mehr betreten
der staub des himmels
wird in die poren dringen
in deine augen
die zu tränen gerührt
 
Gabriele Pflug

stille



wie das blatt sich neigt
als auch der mensch
dem abend zu, dem erdhauch
ins beharrliche schweigen
aus lichtbrüchen und tiefen atemzügen
in denen der tag immer mehr
seine stimme verliert
 
gabriele pflug

während ich hier sitze und schreibe

fällt kretischer wind ein
salzgeruch aus geschichteten erinnerungen
würzt blauen hochsommer
über kuppen jagen ginsterhorden

ich glaubte zu wissen
es stehe sich schwindelfrei
auf der höhe des lebens
vor meinen füßen das meer
und alle antworten schwammen
im braunen auge des metaxas
indes zikadengesang
den himmel verbrannte

und während ich hier sitze und schreibe
wachsen birkenarme um mein haus
setzt das jahr seine zeit auf halbmast
kehren abends die bleichen namen heim
und ich teile mit ihnen teller und stuhl



Mit diesem Gedicht verabschiede ich mich in eine vorgezogene Sommerpause.
Sehr herzlich möchte ich mich bei allen Leserinnen und Lesern bedanken. Es tut gut, zu wissen, dass meine Gedichte mit viel Respekt und Freude gelesen werden.
Dafür gilt mein ganz besonderer Dank!

Gabriele Pflug

im aufsteigenden licht


wenn der morgen sich aufblättert
mit den immer gleichbleibenden hügeln
ihren kronen aus fichten und tannen
den straßen, die dahin und dorthin führen

mit denselben schatten
die langsam von der mauer
des verlassenen hofes gleiten
in dem eulen wohnen
und unsichtbar die bauersleute
durch das fenster auf mich blicken
dann vermeine ich
etwas neues verberge sich
im aufsteigenden tageslicht


gabriele pflug

 

wortreich

wenn du das buch öffnest
erwacht der herzschlag der wörter

farben und gerüche wachsen
in deinen augen
knospet die welt
 
 
 
gabriele pflug
 
 
 
 

große kleine liebe

es herrscht nacht
und die liebe ist weit weit fort

noch geht die zeit nicht gegen morgen
noch weht sternlicht ans fenster

und ich warte und zähle die schritte
die du brauchst und die liebe
wird immer größer und größer
bis mein kopf schmerzt

doch mit den stunden wird sie
kleiner und kleiner sodass sie
endlich durch den türspalt passt


gabriele pflug

der himmel


ist ein notizblock
mit einträgen, bitten
und randbemerkungen

damit er nicht
verloren geht
bläue ich mir
seinen platz ein


© G.P. 2016 

morgenbild


das licht, das schräg auf die häuserzeile fällt, verströmt eine gewisse traurigkeit. immer noch anhaltender regen. er verglast die straßen, überzieht alles mit verwässertem grau. der himmel ist ein wolkenmeer. schornsteine ohne rauch. ein leerer morgen. ohne die bewegung eines menschen. wären wir nicht mehr, wer würde die traurigkeit des lichts erwähnen? wäre sie noch von bedeutung? vielleicht ist sie ein ausdruck unserer einsamkeit. ein stempeldruck auf durchscheinendem stoff. ein siegel, dass wir sind, für einen moment.
mit meinem finger tippe ich das bild an. grün zuckt der wald.


© G.P. 2016 

sommerland


wiesen breiten einen teppich vor dir aus
während du alles grün in dir aufnimmst
beginnen worte hin und her zu flattern
buchstaben nisten sich in zeilen ein
und das  gedicht entsteht ohne mühen
wie wind, der in dein haar greift

du weißt: für den rest des sommers
wirst du das herz einer schwalbe
bewohnen


© G.P. 2016 

frühlingsmelodie

alle fenster sind
nach süden geöffnet

der wind fegte schon
morgens den himmel licht

erste frühlingsworte
sonnen sich
in blanken spiegeln

und die blauen vögel,
diese unruhegeister,
weben luftige töne

© G.P. 2016 

mond


wie sich seine kühle
auf meine augen legt
für einen moment
ruht sie weiß in mir

hör ich ein flüstern
über dem wald, seine stimme
wendet mein herz
in die verlassenheit der dinge
himmelweise, nachts


© G.P. 2016 

Vertrauen


Als er Kind war, redete die Stimme der Mutter in ihm. Sein kleiner Mund blieb stumm.
Bald veränderten sich die Klangfarben der Wörter. Wurden schriller, höher, dann wieder dumpfer.

Er hörte auch andere Melodien. Das knarrende Geräusch eines rückwärts geschobenen Stuhls, das Pfeifen des Wasserhahns, das Klappern von Töpfen.
Diese Welt wurde seine Vertraute. Er konnte sich auf das Knarzen ausgetretener Dielenböden verlassen, auf den Nachhall zugeschlagener Türen, das regelmäßige Klopfen der Regentropfen an seine Fensterscheiben, den gleichbleibenden Gesang der Amsel.

In den Wörtern der Menschen witterte er schon früh den Verrat. Er hörte, wie die Sprache, je nach Stimmung sich verdunkelte oder erhellte.
Nicht mehr länger vertraute er der menschlichen Zunge.


© G.P. 2016 

glück


lichtes glück
bist du auch
noch so klein
bleib
du honiggelber geschmack
du flügelleichter hauch
wohne
in der netzhaut
meiner sinne


© G.P. 2016 

während ich schlafe

vagabundiert mein auge
auswärts sammelt sein blick
verwischte spuren
im hinterland der tage

© G.P. 2016 

regenlied

wolken schlagen wurzeln
auf geheiß des regens
beginnt die dunkle
stimme der erde
zu singen

© G.P. 2016 

verschrobenes


das blinde fenster blinzelte
schlug mit den flügeln
sodass die angeln quietschten
und lachte gläsern


© G.P. 2016 

gedanken


deine gedanken sind wanderdünen. überall hinterlässt du deine geschichten. in wartehallen, auf papier, in den langen nächten der schlaflosigkeit. manche werden dir nachgetragen und du erschrickst über ihre langlebigkeit. manchmal haben sie ihre farben verändert, sind etwas ergraut oder schimmern zu aufdringlich.
du schämst dich ihrer und fliehst in neue erzählungen.


© G.P. 2016 

blüten

kerbt die wärme
ins holz
des frühlings

© G.P. 2016 

poesie der natur IV


als wären alle wände
durchlässige stimmen
winzige schmetterlinge
fliegen mir in die hand
in der luft origamiblüten
etwas bricht sich bahn
wie nachgetragenes glück


© G.P. 2016 

einmal wuchsen wälder und felder


einmal wuchsen im sommer
die wälder zu
verholzten stimmen
am mohnacker entfachte
mutter das feuer über nacht
verschwand unser haus

wir wohnten auf den feldern
und an mückentagen lernten wir
die sprache der schwalben
flügel droschen reifes korn
am ende des sommers
nahmen wir nichts mit
nur vater schnitt holz
für den kommenden winter


© G.P. 2016 

erinnerung


entlang meiner augen laufen bilder
eine schmale landstraße, ein feiner strich
zwischen himmel und feld, diese trauer
in den gärten entfärbtes leben

bei dir steht der film still:
dein winken, eine zeitlose geste des abschieds
katzen auf deinem schoß, ihr leichtes gewicht
unter deiner hand immer noch der stoff
aus kindertagen, rau und ohne farbe
der himmel ist eine schaukelnde lampe
dein knöcherner kopf wippt gegen das holz der bank

du meinst, nie seist du weiter gereist
als der birnbaum schatten warf
doch am ende seien alle entfernungen gleich lang
jeder vergleich ende mit einem punkt

wie glas bricht dein leben
und lange brennt der schnitt
den ich mir zufüge


© G.P. 2016 

im ersten licht

im ersten licht erblühen dächer
auf dem marktplatz, in vorgärten
junge hunde, ein morgenmensch
spricht mit seinen katzen
prüft die biegsamkeit der halme
jetzt im glitzernden aufbruch
in der ankunft der hellen blüten
im meer der wiedergeburt
von möglichkeiten



© G.P. 2016 


frühling, erste sonnen-striche

in wörtern landen
und rasten
sie grün buchstabieren
oder blau
 
flieg gedicht flieg
mit den lerchen
den verbliebenen
 
und jede zeile wird
den himmel lichten

© G.P. 2016 

wenn der himmel sich teilt

während schwarz patinierte
nächte und gedanken
langsam davonschweben

rufst du
den wartenden amseln zu
und der himmel wird geflutet
mit blankem lied

© G.P. 2016 

morgennotiz


eine windsträhne
bewegt meine gedanken

das leben liegt vor anker

im aufkeimenden licht
erzittert meine haut


© G.P. 2016 

frühlingsversprechen


laut kalender ist frühling
doch die tage sind kalt
wie unsere lippen noch
winterworte in sich bergen

kein wort von lichtem einfall
nichts von den hellen rändern
des walds knospende
versprechen kaum hörbar
der anflug besserer Zeiten

© G.P. 2016 

notizen über das gedicht

wie schwer wiegt ein gedicht
wenn es alle worte
für das licht des schnees
gesammelt hat

oder über die liebe schreibt

welche farben haben mehr gewicht

blau oder rot

ich schreibe mit geschlossenen augen
ich schreibe mit offenem herz

© G.P. 2016 

nachtlese

ein spätes erkennen des monds
mehr schatten als licht
die landschaft ein buch
halb aufgeschlagen
vieles steht im dunkel
durchzogen von rissen, brüchen

umgeknickte seiten
als hätte hier ein lesender
eine stelle vermerkt
an die er wieder
zurückkehren wird



© G.P. 2016 

schreiben gegen gewalt


es gibt tage, da brennt
die welt bis in die tiefe, rot

klafft die herzwunde
und die hitze erschafft

frösteln, wenn ich
die in asche geschriebenen

worte lese


© G.P. 2016 

für papa


als gegen morgen
dein atem flacher wird
dünn wie pergament
erwacht die stadt mit wolfgeheule

milchlicht fließt über deine augen
eine tür bewegt sich und hände
greifen ins leere

straßenbahnen kreischen
gegen einen kalten wind
laufen frühaufsteher
ein kiosk öffnet seine flügel
und zeitungen flattern auf

die frist ist abgelaufen
und plötzlich geschehen alle dinge
um einen in unerklärlicher stille
als hätte jemand
die lautstärke auf null gedreht

unter dem krankenhausfenster
jagt die zeit ihre lämmer
die stadt dehnt sich aus
und über ihr die helle bürde
einer wolke


© G.P. 2016 

der brief geht in pension

immer seltener
gehen worte
auf längere reisen

im gelben briefkasten
tummeln sich noch
einige kuverts
der alten schule

voll buchstaben, krakelig
oder geschwungen
meist mit einem hauch
sehnsucht hinter dem punkt

in naher zukunft
wird das letzte schriftstück
mit dem postboten
in pension gehen


© G.P. 2016 

an das gedicht

in jedem gedicht
blüht eine farbe
und sie nimmt dich
beim wort

© G.P. 2016 

frühling III


er kommt mit taumelnden grüßen aus der dunkelheit
seine sprache ist noch wirr und unberechenbar
öffnet er alles umhüllende mithilfe des lichts
seit tagen wohnt er im amsellied

neu kleidet er das wort sehnsucht ein
und schreibt in strophen 
weit über die gebirge reichen seine worte
 
mit bunten strichen vertreibt er sich die stunden
und nimmt sich kein blatt vor den mund
 


© G.P. 2016 

alte frau

die alte frau mit
ihren gefalteten
erinnerungen im schoß

in ihre hände
fädelt sich bereits
der schattenfaden ein

© G.P. 2016 

archivar des flüchtigen

es sind die stunden, eine spanne
zeit von fremder hand
abgezählt flackerndes sein
das in den feuern verraucht

dagegen schreiben wir an

auf durchsichtiges papier
mit wasserfester tinte
bannen wir momente

/das schleierkraut des regens
die dünne haut des himmels
oder die abwesenheit von schnee/

alles verwahren wir im gedächtnis

dem archivar des flüchtigen
augenblicks


© G.P. 2016 

für else lasker-schüler

sie zwang den himmel
in die knie
um darauf zu beten


© G.P. 2016 

frühling II

töne schwingen an mein ohr
lichte metamorphosen einer kantate
und im windschatten der birkenallee
öffnet die sonnenkapsel
ihr auge


© G.P. 2016 

feld wiese wald

eurer zwiesprache lauschen
von mund zu mund
geflüsterte geheimnisse atmen
bis ein gedicht
wurzelt


© G.P. 2016 

frühling I


du frisch geschlüpftes
gaumenwort

wieder und wieder
verfalle ich
deinen frühblühenden versen

du liebkind
eines blauen gedichts



© G.P. 2016 


ich sammle fahrpläne
mit eingezeichneten routen
markierten abfahrts-
und ankunftszeiten

einige verspätungen
schmerzen heute noch

im fahrtwind der zeit
verkürzen sich die strecken
an haltestellen steige ich
immer seltener aus
und nachts habe ich
das abteil für mich
allein mit mond und still

betrachte ich
vorbeiziehende städte
und ihr anwachsendes licht
hinter den fenstern

mit den jahren finde ich mich
an bahnhöfen nicht mehr zurecht
mit türen ohne knauf
mit schaltern ohne menschen

an manchen stehe ich lange
und suche neue abfahrtszeiten
hinter fremdartigen schriftzeichen

ich hoffe
an der letzten station
wartet jemand mit meinem namen
auf karton geschrieben

ansonsten wäre ich
verloren


© G.P. 2016 

sprachverlust

stumm, denn die tage sind
ohne gedanken

es ist
als hätten die worte
sich fortgeschrieben und
andernorts asyl gefunden

an feinen, weißen stränden
noch unbeschriebenen papiers
 
 
 

 


© G.P. 2016 

blatt und blüte

noch treibt mir kälte
die grünen flausen
aus dem kopf

doch unter der erde
werden erste worte geübt:
blatt und blüte

© G.P. 2016 

ein tag im märz



aus den ozeanen des himmels
fällt ein farbloser tropfen licht
selbst die amseln haben verlernt
morgensonaten in unser gedächtnis
zu schreiben bleibt nur vom grau
das über unserem aug wuchert


© G.P. 2016 


unseren platz festmachen
würden wir so gerne
bleiben bis zum tiefen schlaf
den der engel im vorbeigehen
ausruft ohne vorwarnung
als sei ihm gerade die idee gekommen
und überrascht würden wir beide
uns in die augen sehen
bevor er die hand hebt
zum willkommensgruß


© G.P. 2016 

das wasser ist ein element
dessen kraft unsere stärke entfesselt

In Memoriam

Berta Isabel Caceres Flores
März 1973- ermordet März 2016

Sie war eine honduranische Menschenrechts-und Umweltaktivistin.
Zuletzt setzte sie sich gegen ein Staudammprojekt ein.

© G.P. 2016 

saids schuhe


über die falten des südhimmels
zieht eine karawane der träume

das gold der moscheen erlischt
saids schuhe stehen vor der tür
und erzählen eine lange geschichte


© G.P. 2016 

Poesie der Natur III

aus dem Erdreich steigt
ein noch unbekanntes Wort

und erfindet farbige Geschichten
auf grünendem Papier

© G.P. 2016 

Poesie der Natur II

Der Wind schultert Krähen
erste Wolken überblühen

eine Landschaft
wird vollkommen
durch einen einzigen Baum

Dessen Äste markieren
imaginäre Punkte
im Himmel

Womöglich die Orte
später Sterne



© G.P. 2016 

Poesie der Natur I

In aller Stille
unter dem ausgewaschenen Himmel
unter dem Ruder des Winds

lese ich dich
schreibe ich dich

ohne Beistrich
ohne Punkt

Wäre schade
wenn ein Ende
in Sicht




© G.P. 2016 

zeilen an jemanden, der größer ist als ich


selten spreche ich laut zu dir, in alle himmelsrichtungen drehe ich mich und rufe, stimmlos
übers schneefeld reisen tiere
aus der welt des lärms durch die pforten der stillle
du kennst mich, es ist nicht meine art zu schreien, obwohl es in mir tobt
ich fast daran ertaube, während du dir die ohren zuhältst oder sie anderen schenkst
über mir, in mir, keinen finger rührst, meine stimme zu erheben, mich zurück wirfst in den schatten der fliehenden tiere
meine füße, ermüdet von der unebenheit des wegs, schmerzen, während du mir routen anderer zeigst
wortlos ich sie sehe
mit hängenden armen, im warmen zimmer, trinke tee zur beruhigung meines magens, meines unvermögens
die auswüchse des aufruhrs gelassen an meinem auge vorbeiziehen zu lassen
meine heißen stimmbänder brennen, bis ich glaube, von kopf bis fuß zu verbrennen in meinem schmerz
du noch immer dich nicht zeigst, nicht im licht, nicht in der bewegung des morgens
du abwesend bleibst, mich zurück lässt
ohne ein wort des trostes
lautlos


© G.P. 2016 

kriegstreiberei

auf weißem papier
erholt sich das gedicht

fast zu tode gehetzt
durch brand
heiße worte

© G.P. 2016 

schreibübung wald


 sein seufzen entfacht leben über die weiten. das wurzelblut beginnt zu wallen. er wird eins mit dem stein. leichtfüßig tanzt er an kanten und über die berge steigt er beharrlich. moos und schatten wohnen in seinen senken.
hätte er das gedicht nicht geboren, würde die erde sich in mondnächten nur mit einem flügel erheben.
nachts taut über den kronen die dunkelheit und stimmen erglühen. faunfarniges fauchen, wispernde käuzchen, raunende rinden.
die eingeritzten runen der liebe sind verwachsen.
der baum legt den geist in seine adern. seine seele schlägt in jeder faser.
der schlaflose spürt nachts das pochen seines herzes in den dielen, in der maserung des tisches, auf dem ein blatt papier wartet.
indes er den bleistift an sein ohr hält, grünt der erste buchstabe.
später, im erlösenden traum, rauscht das waldwort: kindheit, flüstert es, kindheit.


© G.P. 2016 

dort, wo schatten

dort, wo schatten
einfällt in die losung
des abends stille und schimmer
leiser worte
deine raue hand
und flügel, schwer
vom staub des tages
dort, wo schatten



© G.P. 2016 

morgengeräusche


alles bewegt sich nah am gedicht

der matte morgen und der mund
der dicken kassiererin, wie er
monoton beträge singt
die zuverlässigkeit selbst-
schließender türen
und rasches geklacker
auf asphalt

allen dingen haften buchstaben an

worte, aus der luft gegriffen
klappen ihre flügel ein
und suchen ihre brutplätze
auf papier


© G.P. 2016 

mein mühlviertel


 land meines gedächtnisses
dein mond pocht heller
in den wäldern träumt es sich leicht
 
deine hügel bewohnen mich
und die geräusche der sonne
wenn sie die wiesen wiegt
 
land meiner ersten erinnerung
wo gras, gesäumt vom weißlicht der birken
zu grummet trocknet
 
raschelndes cumarin, mohnstimmen
und die fährte einer fähe
umrinden meinen schlaf


© G.P. 2016 

meine großmutter


großmutter lud jeden sommer auf ihren rücken. band ihn fest mit nesseln und rübenlaub.
in der groben falte ihrer schürze verbarg sie eine galaxie von geheimnissen:
einen reifen mond für die saat, regen und wärme für die jungen wilden.
als ich groß genug war, verbrachte ich die sonnenmonate mit ihr auf dem hof.
erbsen sortierend und erde von den früchten bürstend
den blick, immer aufs feld und die arbeit gerichtet, sagte sie einmal, der himmel käme von selbst zu ihr.
abends, im verstummenden licht, verschloss sich auch ihr mund.

wenn ich die augen schließe, wiegen mich ihre worte in die stille.


© G.P. 2016 

abendstimmung


ich schreibe darüber
was wahr werden könnte
in einem anflug von mond
und sternenwirrwarr
wie du die augen senkst und
das große im kleinen wiederfindest
als tonleiter der vollkommenen stille

ich schreibe darüber
wie dein herz ansetzt
überall himmel zu sagen


© G.P. 2016 

frage

wie viel stille
passt auf ein blatt papier

ohne die zeilen
zu bedrängen

© G.P. 2016 

samstags-fingerübung

mit jedem schlaf
nimmt dein leben ab
verkleinert sich, zieht ein
wie eine mehrjährige pflanze
und ruht letzt-
endlich im tiefen traum



© G.P. 2016 

freitags-fingerübung

vage fällt mein blick
auf diesen morgen
mit seinem unfreundlichen wind
der mein herz auffächert
und die wörter durcheinander bringt
die ich zurecht gelegt

von den leichten gedanken
keine spur



© G.P. 2016 

an das gedicht



und schreiben sich
die Fluchtpunkte am Himmel ein

-jeder Strich eine Weite-

bleibt die Sehnsucht

unerfüllt lebt sie
belebt das Wort, die Zeile

im Gedächtnis des Gedichts
währt alles Lebendige
selbst der Tod



© G.P. 2016 

vom Schreiben eines Gedichts

von Selbstgesprächen nachts
dem Wundliegen der Gedanken

von der Suche nach Zeilen
und aufgescheuchten Stimmen aus Fotografien
die den Schlaf bedecken

und nur spärlich
Worte findet
aus dem, was war
vor Tagen, Jahren

© G.P. 2016 

heute werde ich
niemandem etwas beweisen
nicht dir nicht mir

werde nur still sein
und dem papier zusehen
wie es die sätze
wort für wort entlässt

mich ins gras legen
zu den namenlosen halmen
die ungezwungen wachsen

und ins licht blicken
in die wolkenrosen
die aufblühen und vergehen
ohne mühen
in selbstverständlicher ruhe

© G.P. 2016 

im Gras, im Staub
in Räumen wohnen sie
sehen uns zu
bei unseren alltäglichen Bewegungen
führen manchmal unsere Hand
wenn wir sie zu schnell erheben
in schweren Minuten
sind sie Souffleusen hinter der Wand
für die Trauernden

manchmal lassen sie uns
ganz frei
und wir suchen sie
in Büchern, Liebesbriefen
in den Worten fremder Menschen

tagelang scrollen wir
ihren Lebensgeschichten entlang
und bitten sie
wieder Platz zu nehmen
im Schmerz, in der Liebe

oder sei es nur
beim Überqueren der Straße
indem sie uns freundlich
auf die Schulter klopfen


© G.P. 2016 


alles
was dir einmal widerfahren
findest du in der stille

es geht
durch deine augen, deinen körper
deine zunge fährt den bewegungen
des schmerzes nach

du suchst
nach einem passenden
herzvokabular
und schreibst es
in die liste
der schweigenden wörter

© G.P. 2016 

für meine urgroßmutter

im gehöft meiner erinnerung
üben die frauen das leben
zwischen ackerfurche und herd

reift eine endlose last
unentwegt zur kalten frucht

unter dem blick des mannes
beugt sich der körper
aus dem kindbett
dringt süßliches sterben

zwischen mauer und nebel
verirrt sich keiner und bringt
einen gruß aus dem tal
voll atemlanger wärme

und das herz, ein taumelndes blatt
fällt mit jedem herbst früher

im gehöft meiner erinnerung
wird das licht nie gelöscht
übers brachland fährt
schneidend das wort
 


© G.P. 2016 

manche stunden sind
wie die reinschrift
eines gedichts
und führen aus tiefer nacht
in helleres


© G.P. 2016 

Meerworte



an den Stränden der Gedichte liegen
gegen die Zeit
mit geschlossenen Augen
Mond und Sterne sehen
und die Bibliothek des Himmels öffnen
auf ein Wort und Meer



© G.P. 2016 

Auf Reisen

Jeder Tag eine Abreise
manchmal auch nachts
ein atemloser Aufbruch
in Helleres

Bleiben hieße
hinter die Stunden zu schauen
in der Gewissheit
den gleichbleibenden Dingen
nicht standhalten zu können

Auf dem Weg
werden die Gesichter der Reisenden
ein vorbeihuschender Aufenthaltsort
eine ständige Bewegung
von Licht und Schatten

Später in den Ankunftshallen
eine Unmenge von Wörtern

schmale Bändchen oder Romane
so vieler Leben

© G.P. 2016 

/ein blues-gedicht/

an winterabenden
gehst du aufs feld
und misst den grad der stille

mit einer handbewegung
öffnest du die nacht

an deiner seite
das dunkle auge der katze
© G.P. 2016 

im sog von sand

gegen die gültigkeit
des stundenglases anschreiben
die tage verlängern
mit worten, gesten, unendliche
momente in die hand schreiben
und auswendig lernen
im dunkel wiederholen
um nicht verloren zu gehen

um nicht verloren zu gehen
im sog wirbelnden sandes

© G.P. 2016 

post an einem wintermorgen

manchmal glimmt das schneelicht
schon früh auf

erste worte legt
der briefträger
in meine hand

und beim öffnen der zeilen
das unverhoffte du

© G.P. 2016 

zeilen an jemanden, der schweigt

ein leben lang worte
wie vertrocknetes gras und
distelgewächse, dornig gezähnt
wachsen sie windschief in der brache

dein mund riecht nach erde
doch das wort geht nie auf

© G.P. 2016