kriegstreiberei

auf weißem papier
erholt sich das gedicht

fast zu tode gehetzt
durch brand
heiße worte

© G.P. 2016 

schreibübung wald


 sein seufzen entfacht leben über die weiten. das wurzelblut beginnt zu wallen. er wird eins mit dem stein. leichtfüßig tanzt er an kanten und über die berge steigt er beharrlich. moos und schatten wohnen in seinen senken.
hätte er das gedicht nicht geboren, würde die erde sich in mondnächten nur mit einem flügel erheben.
nachts taut über den kronen die dunkelheit und stimmen erglühen. faunfarniges fauchen, wispernde käuzchen, raunende rinden.
die eingeritzten runen der liebe sind verwachsen.
der baum legt den geist in seine adern. seine seele schlägt in jeder faser.
der schlaflose spürt nachts das pochen seines herzes in den dielen, in der maserung des tisches, auf dem ein blatt papier wartet.
indes er den bleistift an sein ohr hält, grünt der erste buchstabe.
später, im erlösenden traum, rauscht das waldwort: kindheit, flüstert es, kindheit.


© G.P. 2016 

dort, wo schatten

dort, wo schatten
einfällt in die losung
des abends stille und schimmer
leiser worte
deine raue hand
und flügel, schwer
vom staub des tages
dort, wo schatten



© G.P. 2016 

morgengeräusche


alles bewegt sich nah am gedicht

der matte morgen und der mund
der dicken kassiererin, wie er
monoton beträge singt
die zuverlässigkeit selbst-
schließender türen
und rasches geklacker
auf asphalt

allen dingen haften buchstaben an

worte, aus der luft gegriffen
klappen ihre flügel ein
und suchen ihre brutplätze
auf papier


© G.P. 2016 

mein mühlviertel


 land meines gedächtnisses
dein mond pocht heller
in den wäldern träumt es sich leicht
 
deine hügel bewohnen mich
und die geräusche der sonne
wenn sie die wiesen wiegt
 
land meiner ersten erinnerung
wo gras, gesäumt vom weißlicht der birken
zu grummet trocknet
 
raschelndes cumarin, mohnstimmen
und die fährte einer fähe
umrinden meinen schlaf


© G.P. 2016 

meine großmutter


großmutter lud jeden sommer auf ihren rücken. band ihn fest mit nesseln und rübenlaub.
in der groben falte ihrer schürze verbarg sie eine galaxie von geheimnissen:
einen reifen mond für die saat, regen und wärme für die jungen wilden.
als ich groß genug war, verbrachte ich die sonnenmonate mit ihr auf dem hof.
erbsen sortierend und erde von den früchten bürstend
den blick, immer aufs feld und die arbeit gerichtet, sagte sie einmal, der himmel käme von selbst zu ihr.
abends, im verstummenden licht, verschloss sich auch ihr mund.

wenn ich die augen schließe, wiegen mich ihre worte in die stille.


© G.P. 2016 

abendstimmung


ich schreibe darüber
was wahr werden könnte
in einem anflug von mond
und sternenwirrwarr
wie du die augen senkst und
das große im kleinen wiederfindest
als tonleiter der vollkommenen stille

ich schreibe darüber
wie dein herz ansetzt
überall himmel zu sagen


© G.P. 2016 

frage

wie viel stille
passt auf ein blatt papier

ohne die zeilen
zu bedrängen

© G.P. 2016 

samstags-fingerübung

mit jedem schlaf
nimmt dein leben ab
verkleinert sich, zieht ein
wie eine mehrjährige pflanze
und ruht letzt-
endlich im tiefen traum



© G.P. 2016 

freitags-fingerübung

vage fällt mein blick
auf diesen morgen
mit seinem unfreundlichen wind
der mein herz auffächert
und die wörter durcheinander bringt
die ich zurecht gelegt

von den leichten gedanken
keine spur



© G.P. 2016 

an das gedicht



und schreiben sich
die Fluchtpunkte am Himmel ein

-jeder Strich eine Weite-

bleibt die Sehnsucht

unerfüllt lebt sie
belebt das Wort, die Zeile

im Gedächtnis des Gedichts
währt alles Lebendige
selbst der Tod



© G.P. 2016 

vom Schreiben eines Gedichts

von Selbstgesprächen nachts
dem Wundliegen der Gedanken

von der Suche nach Zeilen
und aufgescheuchten Stimmen aus Fotografien
die den Schlaf bedecken

und nur spärlich
Worte findet
aus dem, was war
vor Tagen, Jahren

© G.P. 2016 

heute werde ich
niemandem etwas beweisen
nicht dir nicht mir

werde nur still sein
und dem papier zusehen
wie es die sätze
wort für wort entlässt

mich ins gras legen
zu den namenlosen halmen
die ungezwungen wachsen

und ins licht blicken
in die wolkenrosen
die aufblühen und vergehen
ohne mühen
in selbstverständlicher ruhe

© G.P. 2016 

im Gras, im Staub
in Räumen wohnen sie
sehen uns zu
bei unseren alltäglichen Bewegungen
führen manchmal unsere Hand
wenn wir sie zu schnell erheben
in schweren Minuten
sind sie Souffleusen hinter der Wand
für die Trauernden

manchmal lassen sie uns
ganz frei
und wir suchen sie
in Büchern, Liebesbriefen
in den Worten fremder Menschen

tagelang scrollen wir
ihren Lebensgeschichten entlang
und bitten sie
wieder Platz zu nehmen
im Schmerz, in der Liebe

oder sei es nur
beim Überqueren der Straße
indem sie uns freundlich
auf die Schulter klopfen


© G.P. 2016 


alles
was dir einmal widerfahren
findest du in der stille

es geht
durch deine augen, deinen körper
deine zunge fährt den bewegungen
des schmerzes nach

du suchst
nach einem passenden
herzvokabular
und schreibst es
in die liste
der schweigenden wörter

© G.P. 2016 

für meine urgroßmutter

im gehöft meiner erinnerung
üben die frauen das leben
zwischen ackerfurche und herd

reift eine endlose last
unentwegt zur kalten frucht

unter dem blick des mannes
beugt sich der körper
aus dem kindbett
dringt süßliches sterben

zwischen mauer und nebel
verirrt sich keiner und bringt
einen gruß aus dem tal
voll atemlanger wärme

und das herz, ein taumelndes blatt
fällt mit jedem herbst früher

im gehöft meiner erinnerung
wird das licht nie gelöscht
übers brachland fährt
schneidend das wort
 


© G.P. 2016 

manche stunden sind
wie die reinschrift
eines gedichts
und führen aus tiefer nacht
in helleres


© G.P. 2016 

Meerworte



an den Stränden der Gedichte liegen
gegen die Zeit
mit geschlossenen Augen
Mond und Sterne sehen
und die Bibliothek des Himmels öffnen
auf ein Wort und Meer



© G.P. 2016 

Auf Reisen

Jeder Tag eine Abreise
manchmal auch nachts
ein atemloser Aufbruch
in Helleres

Bleiben hieße
hinter die Stunden zu schauen
in der Gewissheit
den gleichbleibenden Dingen
nicht standhalten zu können

Auf dem Weg
werden die Gesichter der Reisenden
ein vorbeihuschender Aufenthaltsort
eine ständige Bewegung
von Licht und Schatten

Später in den Ankunftshallen
eine Unmenge von Wörtern

schmale Bändchen oder Romane
so vieler Leben

© G.P. 2016 

/ein blues-gedicht/

an winterabenden
gehst du aufs feld
und misst den grad der stille

mit einer handbewegung
öffnest du die nacht

an deiner seite
das dunkle auge der katze
© G.P. 2016 

im sog von sand

gegen die gültigkeit
des stundenglases anschreiben
die tage verlängern
mit worten, gesten, unendliche
momente in die hand schreiben
und auswendig lernen
im dunkel wiederholen
um nicht verloren zu gehen

um nicht verloren zu gehen
im sog wirbelnden sandes

© G.P. 2016 

post an einem wintermorgen

manchmal glimmt das schneelicht
schon früh auf

erste worte legt
der briefträger
in meine hand

und beim öffnen der zeilen
das unverhoffte du

© G.P. 2016 

zeilen an jemanden, der schweigt

ein leben lang worte
wie vertrocknetes gras und
distelgewächse, dornig gezähnt
wachsen sie windschief in der brache

dein mund riecht nach erde
doch das wort geht nie auf

© G.P. 2016