wenn der himmel sich teilt

während schwarz patinierte
nächte und gedanken
langsam davonschweben

rufst du
den wartenden amseln zu
und der himmel wird geflutet
mit blankem lied

© G.P. 2016 

morgennotiz


eine windsträhne
bewegt meine gedanken

das leben liegt vor anker

im aufkeimenden licht
erzittert meine haut


© G.P. 2016 

frühlingsversprechen


laut kalender ist frühling
doch die tage sind kalt
wie unsere lippen noch
winterworte in sich bergen

kein wort von lichtem einfall
nichts von den hellen rändern
des walds knospende
versprechen kaum hörbar
der anflug besserer Zeiten

© G.P. 2016 

notizen über das gedicht

wie schwer wiegt ein gedicht
wenn es alle worte
für das licht des schnees
gesammelt hat

oder über die liebe schreibt

welche farben haben mehr gewicht

blau oder rot

ich schreibe mit geschlossenen augen
ich schreibe mit offenem herz

© G.P. 2016 

nachtlese

ein spätes erkennen des monds
mehr schatten als licht
die landschaft ein buch
halb aufgeschlagen
vieles steht im dunkel
durchzogen von rissen, brüchen

umgeknickte seiten
als hätte hier ein lesender
eine stelle vermerkt
an die er wieder
zurückkehren wird



© G.P. 2016 

schreiben gegen gewalt


es gibt tage, da brennt
die welt bis in die tiefe, rot

klafft die herzwunde
und die hitze erschafft

frösteln, wenn ich
die in asche geschriebenen

worte lese


© G.P. 2016 

für papa


als gegen morgen
dein atem flacher wird
dünn wie pergament
erwacht die stadt mit wolfgeheule

milchlicht fließt über deine augen
eine tür bewegt sich und hände
greifen ins leere

straßenbahnen kreischen
gegen einen kalten wind
laufen frühaufsteher
ein kiosk öffnet seine flügel
und zeitungen flattern auf

die frist ist abgelaufen
und plötzlich geschehen alle dinge
um einen in unerklärlicher stille
als hätte jemand
die lautstärke auf null gedreht

unter dem krankenhausfenster
jagt die zeit ihre lämmer
die stadt dehnt sich aus
und über ihr die helle bürde
einer wolke


© G.P. 2016 

der brief geht in pension

immer seltener
gehen worte
auf längere reisen

im gelben briefkasten
tummeln sich noch
einige kuverts
der alten schule

voll buchstaben, krakelig
oder geschwungen
meist mit einem hauch
sehnsucht hinter dem punkt

in naher zukunft
wird das letzte schriftstück
mit dem postboten
in pension gehen


© G.P. 2016 

an das gedicht

in jedem gedicht
blüht eine farbe
und sie nimmt dich
beim wort

© G.P. 2016 

frühling III


er kommt mit taumelnden grüßen aus der dunkelheit
seine sprache ist noch wirr und unberechenbar
öffnet er alles umhüllende mithilfe des lichts
seit tagen wohnt er im amsellied

neu kleidet er das wort sehnsucht ein
und schreibt in strophen 
weit über die gebirge reichen seine worte
 
mit bunten strichen vertreibt er sich die stunden
und nimmt sich kein blatt vor den mund
 


© G.P. 2016 

alte frau

die alte frau mit
ihren gefalteten
erinnerungen im schoß

in ihre hände
fädelt sich bereits
der schattenfaden ein

© G.P. 2016 

archivar des flüchtigen

es sind die stunden, eine spanne
zeit von fremder hand
abgezählt flackerndes sein
das in den feuern verraucht

dagegen schreiben wir an

auf durchsichtiges papier
mit wasserfester tinte
bannen wir momente

/das schleierkraut des regens
die dünne haut des himmels
oder die abwesenheit von schnee/

alles verwahren wir im gedächtnis

dem archivar des flüchtigen
augenblicks


© G.P. 2016 

für else lasker-schüler

sie zwang den himmel
in die knie
um darauf zu beten


© G.P. 2016 

frühling II

töne schwingen an mein ohr
lichte metamorphosen einer kantate
und im windschatten der birkenallee
öffnet die sonnenkapsel
ihr auge


© G.P. 2016 

feld wiese wald

eurer zwiesprache lauschen
von mund zu mund
geflüsterte geheimnisse atmen
bis ein gedicht
wurzelt


© G.P. 2016 

frühling I


du frisch geschlüpftes
gaumenwort

wieder und wieder
verfalle ich
deinen frühblühenden versen

du liebkind
eines blauen gedichts



© G.P. 2016 


ich sammle fahrpläne
mit eingezeichneten routen
markierten abfahrts-
und ankunftszeiten

einige verspätungen
schmerzen heute noch

im fahrtwind der zeit
verkürzen sich die strecken
an haltestellen steige ich
immer seltener aus
und nachts habe ich
das abteil für mich
allein mit mond und still

betrachte ich
vorbeiziehende städte
und ihr anwachsendes licht
hinter den fenstern

mit den jahren finde ich mich
an bahnhöfen nicht mehr zurecht
mit türen ohne knauf
mit schaltern ohne menschen

an manchen stehe ich lange
und suche neue abfahrtszeiten
hinter fremdartigen schriftzeichen

ich hoffe
an der letzten station
wartet jemand mit meinem namen
auf karton geschrieben

ansonsten wäre ich
verloren


© G.P. 2016 

sprachverlust

stumm, denn die tage sind
ohne gedanken

es ist
als hätten die worte
sich fortgeschrieben und
andernorts asyl gefunden

an feinen, weißen stränden
noch unbeschriebenen papiers
 
 
 

 


© G.P. 2016 

blatt und blüte

noch treibt mir kälte
die grünen flausen
aus dem kopf

doch unter der erde
werden erste worte geübt:
blatt und blüte

© G.P. 2016 

ein tag im märz



aus den ozeanen des himmels
fällt ein farbloser tropfen licht
selbst die amseln haben verlernt
morgensonaten in unser gedächtnis
zu schreiben bleibt nur vom grau
das über unserem aug wuchert


© G.P. 2016 


unseren platz festmachen
würden wir so gerne
bleiben bis zum tiefen schlaf
den der engel im vorbeigehen
ausruft ohne vorwarnung
als sei ihm gerade die idee gekommen
und überrascht würden wir beide
uns in die augen sehen
bevor er die hand hebt
zum willkommensgruß


© G.P. 2016 

das wasser ist ein element
dessen kraft unsere stärke entfesselt

In Memoriam

Berta Isabel Caceres Flores
März 1973- ermordet März 2016

Sie war eine honduranische Menschenrechts-und Umweltaktivistin.
Zuletzt setzte sie sich gegen ein Staudammprojekt ein.

© G.P. 2016 

saids schuhe


über die falten des südhimmels
zieht eine karawane der träume

das gold der moscheen erlischt
saids schuhe stehen vor der tür
und erzählen eine lange geschichte


© G.P. 2016 

Poesie der Natur III

aus dem Erdreich steigt
ein noch unbekanntes Wort

und erfindet farbige Geschichten
auf grünendem Papier

© G.P. 2016 

Poesie der Natur II

Der Wind schultert Krähen
erste Wolken überblühen

eine Landschaft
wird vollkommen
durch einen einzigen Baum

Dessen Äste markieren
imaginäre Punkte
im Himmel

Womöglich die Orte
später Sterne



© G.P. 2016 

Poesie der Natur I

In aller Stille
unter dem ausgewaschenen Himmel
unter dem Ruder des Winds

lese ich dich
schreibe ich dich

ohne Beistrich
ohne Punkt

Wäre schade
wenn ein Ende
in Sicht




© G.P. 2016 

zeilen an jemanden, der größer ist als ich


selten spreche ich laut zu dir, in alle himmelsrichtungen drehe ich mich und rufe, stimmlos
übers schneefeld reisen tiere
aus der welt des lärms durch die pforten der stillle
du kennst mich, es ist nicht meine art zu schreien, obwohl es in mir tobt
ich fast daran ertaube, während du dir die ohren zuhältst oder sie anderen schenkst
über mir, in mir, keinen finger rührst, meine stimme zu erheben, mich zurück wirfst in den schatten der fliehenden tiere
meine füße, ermüdet von der unebenheit des wegs, schmerzen, während du mir routen anderer zeigst
wortlos ich sie sehe
mit hängenden armen, im warmen zimmer, trinke tee zur beruhigung meines magens, meines unvermögens
die auswüchse des aufruhrs gelassen an meinem auge vorbeiziehen zu lassen
meine heißen stimmbänder brennen, bis ich glaube, von kopf bis fuß zu verbrennen in meinem schmerz
du noch immer dich nicht zeigst, nicht im licht, nicht in der bewegung des morgens
du abwesend bleibst, mich zurück lässt
ohne ein wort des trostes
lautlos


© G.P. 2016