Vertrauen


Als er Kind war, redete die Stimme der Mutter in ihm. Sein kleiner Mund blieb stumm.
Bald veränderten sich die Klangfarben der Wörter. Wurden schriller, höher, dann wieder dumpfer.

Er hörte auch andere Melodien. Das knarrende Geräusch eines rückwärts geschobenen Stuhls, das Pfeifen des Wasserhahns, das Klappern von Töpfen.
Diese Welt wurde seine Vertraute. Er konnte sich auf das Knarzen ausgetretener Dielenböden verlassen, auf den Nachhall zugeschlagener Türen, das regelmäßige Klopfen der Regentropfen an seine Fensterscheiben, den gleichbleibenden Gesang der Amsel.

In den Wörtern der Menschen witterte er schon früh den Verrat. Er hörte, wie die Sprache, je nach Stimmung sich verdunkelte oder erhellte.
Nicht mehr länger vertraute er der menschlichen Zunge.


© G.P. 2016 

glück


lichtes glück
bist du auch
noch so klein
bleib
du honiggelber geschmack
du flügelleichter hauch
wohne
in der netzhaut
meiner sinne


© G.P. 2016 

während ich schlafe

vagabundiert mein auge
auswärts sammelt sein blick
verwischte spuren
im hinterland der tage

© G.P. 2016 

regenlied

wolken schlagen wurzeln
auf geheiß des regens
beginnt die dunkle
stimme der erde
zu singen

© G.P. 2016 

verschrobenes


das blinde fenster blinzelte
schlug mit den flügeln
sodass die angeln quietschten
und lachte gläsern


© G.P. 2016 

gedanken


deine gedanken sind wanderdünen. überall hinterlässt du deine geschichten. in wartehallen, auf papier, in den langen nächten der schlaflosigkeit. manche werden dir nachgetragen und du erschrickst über ihre langlebigkeit. manchmal haben sie ihre farben verändert, sind etwas ergraut oder schimmern zu aufdringlich.
du schämst dich ihrer und fliehst in neue erzählungen.


© G.P. 2016 

blüten

kerbt die wärme
ins holz
des frühlings

© G.P. 2016 

poesie der natur IV


als wären alle wände
durchlässige stimmen
winzige schmetterlinge
fliegen mir in die hand
in der luft origamiblüten
etwas bricht sich bahn
wie nachgetragenes glück


© G.P. 2016 

einmal wuchsen wälder und felder


einmal wuchsen im sommer
die wälder zu
verholzten stimmen
am mohnacker entfachte
mutter das feuer über nacht
verschwand unser haus

wir wohnten auf den feldern
und an mückentagen lernten wir
die sprache der schwalben
flügel droschen reifes korn
am ende des sommers
nahmen wir nichts mit
nur vater schnitt holz
für den kommenden winter


© G.P. 2016 

erinnerung


entlang meiner augen laufen bilder
eine schmale landstraße, ein feiner strich
zwischen himmel und feld, diese trauer
in den gärten entfärbtes leben

bei dir steht der film still:
dein winken, eine zeitlose geste des abschieds
katzen auf deinem schoß, ihr leichtes gewicht
unter deiner hand immer noch der stoff
aus kindertagen, rau und ohne farbe
der himmel ist eine schaukelnde lampe
dein knöcherner kopf wippt gegen das holz der bank

du meinst, nie seist du weiter gereist
als der birnbaum schatten warf
doch am ende seien alle entfernungen gleich lang
jeder vergleich ende mit einem punkt

wie glas bricht dein leben
und lange brennt der schnitt
den ich mir zufüge


© G.P. 2016 

im ersten licht

im ersten licht erblühen dächer
auf dem marktplatz, in vorgärten
junge hunde, ein morgenmensch
spricht mit seinen katzen
prüft die biegsamkeit der halme
jetzt im glitzernden aufbruch
in der ankunft der hellen blüten
im meer der wiedergeburt
von möglichkeiten



© G.P. 2016 


frühling, erste sonnen-striche

in wörtern landen
und rasten
sie grün buchstabieren
oder blau
 
flieg gedicht flieg
mit den lerchen
den verbliebenen
 
und jede zeile wird
den himmel lichten

© G.P. 2016