/weil erinnerungen bleiben/


am abend, wenn die zeiger unruhig laufen, macht er sich auf den weg.
der mond dringt bleich durch die wolkenritzen. die straßen glänzen wie nasse bänder,
die auf hügeln abgelegt, ein seltsames muster ergeben.es hat geregnet und er bemerkt es erst jetzt. es riecht nach regenwürmern.

hier irgendwo muss sie sein.

vor kurzem war er ihrem gesicht sehr nahe gewesen. aus dem mund roch sie schlecht. es hatte ihn wütend gemacht, wie sie dastand, stumm und ausdruckslos. 
unfreundlich und rücksichtslos ist diese art des besuchs, schrie er ihr entgegen.
ich brauche zeit, um mich vorzubereiten.

seine freunde, die um ihn standen, hatten beschämt zur seite geblickt.
pssst, nicht so laut, hatten sie geflüstert, füge dich.

dabei überschlugen sich ihre stimmen vor eifer. so wähnten sie sich in sicherheit.
es würden nicht zwei oder drei an der zahl sein, die sie im auge habe.
nur ihn hatte sie im blick. fest und schwarz.
aber sein heiseres kreischen hatte geholfen. sie verschwand geräuschlos.

er blickt empor.
der himmel in rosa getaucht. zwischen flamingowolken schwebt ein flugzeug mit ausgebreiteten armen. es zieht seine schleifen, ruhig und getragen.

ihm ist seltsam heiß. so, als würde er brennen. jetzt an einer kühlen glaswand stehen, in die nacht starren und auf jemanden warten.
eine hand ergreifen und nicht mehr loslassen.

er dreht sich um. die stelle, wo er losgegangen ist, verliert sich im orangefarbenen nebel der herbstlaternen.
wolken und sterne lösen sich in seinem seufzer auf. schon schlägt der puls unregelmäßig und verliert sich im wind, der über die wiesen anhebt.  er erblickt die schatten der bäume. sie sprechen tief. dröhnender bass jedes wort. 

sie lehnt am stamm des letzten baumes.
er hebt die hand. ein streichholz in der weite des himmels.
die andere hand hält er vors herz.
gleich wird es reißen, denkt er.

(für k. v.)


Gabriele Pflug

zu gleichen teilen


je mehr er sich gegen grobes und lautes abschottet, entsteht in ihm grobes und lautes.
das gute in ihm wird zur falle. sein fingerzeig auf andere zum pistolenlauf gegen sich selbst.
er hört auf, sich selbst auszugrenzen.  
er vernimmt die schreie von der straße.
wie sie sich erhöhen über die anderen. jeder in seiner wahrheit taumelt, tobt und wächst.
seit er seine dunkle seite kennt, fühlt er sich ganz. beide hält er zu gleichen teilen in seinen händen.
beide gleich schwer, beide gleich leicht.
wenn das gebrüll von der straße verebbt, geht er zum fluss und hält seine finger ins strömende wasser.
in der nacht, eine stille wie vorm ersten schnee.
ein himmel, der sich weich auf die erde legt.
 
Gabriele Pflug

sommer


in die luft wachsen schmetterlinge
und eine milde leere
wölbt ihre blaue kuppel
über den tag

kein wind stört die trägen wälder
in ihren tiefen halten sie
den atem an um zu hören
wenn der regen kommt
 
Gabriele Pflug

sommerbild


glut rollt in senken, an ufern
brennt wüstenfarbig durst

die haut der bäume liegt wund im sonnenwind

hörst du das wasserwort?
nachts perlt es
in träumen aus dunst
 
Gabriele Pflug

wörter


verhüllen die schatten
spenden den träumern licht
manchmal finden sie sich
zu einem kleinen gedicht
unscheinbar, ein tropfen
in dem erinnerung schimmert
 
Gabriele Pflug

worte über worte


I

wir gehen mit den worten schlafen
und träumen von ihnen
ankert eines im himmel

II

aus dem gebirge stiegen sie
die luft war klar und schnee brach
von den flanken

die erde bebt, sagten die einen
andere hörten nicht einmal
den wind

wispernd kamen sie
in allen schattierungen
über dich

und du erblühst
wie von sinnen
im luftwirbel des worts
 
Gabriele Pflug

Alpha und Omega


Lichter entlang des Flusses
bewohnt Luft die Erde
zwischen den Welten
zu Wasser und Land
ein Zittern
von Millionen Molekülen

Wie hinter Passepartout
der Gedanke:
In jedem Anfang keimt das Ende
 
Gabriele Pflug

Weithin ruhendes Land

Die Sterbebarken führen Licht
den Fluss entlang.

Am Ufer bricht ein Ruf
das Schweigen.

Bepflanze
die Ränder neu!


Gabriele Pflug

Überschrift: noch unbekannt



Sie werden wieder gehisst:
Flaggen falscher Hoffnungen
peitschen uns
in einen unbekannten Frühling.

Die schläfrigen Mittage
rücken in weite Ferne.

Du versuchst Haltung zu bewahren.
Nur so verlierst du vielleicht
nicht den Blick auf dich.
 
Gabriele Pflug

Abendbild

Letztes flackerndes Grün
eine Frau auf dem Feldweg
ruhelos, diese jähe Stille.

Etwas stemmst du
immer der Zeit entgegen:
Verse, Vogelstimmen, gesummte Töne.

Gibt es sie noch?
Landschaften, die du schreibend erkundest.
Weggabelungen, die wie Sternbilder gelesen werden.

Mondfarbige Nächte und der Wind
ein seidener Fächer, der sich
über den aufkommenden Abend öffnet
.

 
Gabriele Pflug
 
 

Morgenbild


Hartes Licht zeichnet ein Bild in den Morgen.
Kältestarre. Die Hände sind noch zu nichts

zu gebrauchen.
Nur die Augen nehmen sich ein Herz und formen Gedanken.

Morgenstund ohne Gold.
Im Mund ein schaler Geschmack

kommender Verpflichtungen.

Was weiß ich eigentlich über die Trägheit

eines Nachmittags:
An dem die Luft lind, der Atem leicht
und der Wald sich lichtete, weil ein Erzengel

schwarz und schwer
aus dem Tannicht stieg.

Gabriele Pflug

Wald


Ich möchte nicht anders leben
als mit dir im Rücken
die wiegende Bewegung
bewohnt meinen Schlaf
und ich träume in deinen Gezeiten
das Wort der Dichter bleibt
an dich gerichtet auch wenn du
längst Beute von Zahlen wurdest

Verse sind unsterblich
sie wachsen dort
wo kein Gras mehr
den Boden berührt

Bäume
meines Gedächtnisses
unsichtbar ruft euch
der dunkle Wald

Gabriele Pflug

Gepresstes Ahornblatt

Wir bestaunen den abgestürzten Mond
und gehen grußlos an Bäumen vorbei
an den dichten Schatten ihrer selbst

Verzückt steht ein Künstler
vor seiner schwarzen Leinwand
übt sich in Strichen und Punkten
hat vergessen, was in alten Versen stand
vergessen, auf eine Welt, die kurz erblüht
im leichten Licht grünender Knospen

Spurenleser sind längst ausgestorben
ihre papierenen Rollen verschollen

Manchmal findet jemand zwischen
zwei Gedichtseiten ein gepresstes
Ahornblatt, fein beschrieben
nach seiner Herkunft, seinen Vorlieben
und wie es sich nach dem Wind richtete
der ihm übers Haar streifte, zaudernd


Gabriele Pflug

Für meine Mutter


die Tür geschlossen
die Faust ebenso der Mund
keiner kommt über die Schwelle
aus dem Wald weinen dünne Stimmen
und du übst den Refrain

nur noch eine Ahnung abgestorbener Tage
wie Wochen aus halbem Atem
halb Leben halb Tod
hörst du manchmal ein Ticken
aus dem Hohlraum im Feld
 
Gabriele Pflug

Lesen

/für Ule/

ganze Welten strömen ans Ufer
wenn ich ein Buch öffne

Gabriele Pflug