Das Schiff

für Monika B. (1974-2018)

Es war ziemlich stürmisch an diesem kalten Wintermorgen.
Im Zwielicht des Morgengrauens hatten die Menschen im Hafen gewartet. Manche ängstlich und weinend, doch einige hatten erfreut gewinkt, als sie das graue Schiff in den Hafen steuern sahen.
Schwer beladen stachen sie anschließend in See. Der Steuermann stand vorne. Er war ein verschlossener Mann mit grauen Augen, die jedoch seltsam leuchteten. Einige fassten sofort Vertrauen zu ihm, grüßten ihn freundlich oder strichen ihm sachte über den Ärmel.
An Bord waren alle Altersklassen und Menschen jedweden Berufes.
Gesprochen wurde kaum und wenn, dann nur geschluchzt.
Stumm blickten sie auf den Rücken des Steuermannes. Als er sich zu ihnen umdrehte, hielten sie den Atem an.
„Ihr wisst! Es gibt kein Zurück. Und auch das Ziel ist unbekannt. Mehr kann ich euch nicht sagen. Ihr müsst damit zurechtkommen. Es gibt keinen sichtbaren Ausweg für euch! Noch nicht!“
Eine schwere Trauer legte sich über die Köpfe der Reisenden. Niemand blickte auf. Manche starrten auf ihre Hände, andere verhüllten ihr Gesicht, damit ihre Tränen nicht gesehen wurden.
Doch ein Mädchen, die jüngste Passagierin unter ihnen, gab sich einen Ruck und stand auf. Trotz des Wellengangs lief es auf den Steuermann los, lehnte sich an die Reling und rief hell in die klare Meeresluft.
„Seht doch nur den Sonnenaufgang! Solch ein Licht habe ich noch nie gesehen. Es ist nichts im Vergleich mit den Morgen, Mittagen und Abenden an Land!“
Der Fährmann strich ihm übers Haar und seine Augen sagten: „Du hast verstanden.“
 
Liebe Monika, ich denke, du warst am Ende deines kurzen Lebens vielleicht dieses Mädchen!
Gabriele Pflug

4 Kommentare:

  1. Liebe Gabriele, du hast wunderbare Worte gefunden, die solch unendliches Leid ein wenig leichter werden lässt. Was heißt leichter, zumindest verständlicher mit einem kleinen Wink an Hoffnung für eine Ewigkeit. Möge diese Monika dort ankommen...

    Liebe Grüße
    Edith

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  2. Fein und tröstlich!

    Stille Grüße,
    Syntaxia

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  3. Über alle Trauer hinaus sind wir alle so: ungewiss dessen, was vor uns liegt, und ein Glück für uns selbst und unsere Mitmenschen, wenn wir dennoch erwartungsfroh in die Zukunft schauen (auch wenn es nicht immer leichtfällt).
    Ein Gleichnis, das ich mag, liebe Gabriele.

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  4. bewegend und berührend.
    ein tröstlicher gedanke, dass am ende immer das licht ist.
    wunderbar geschrieben!
    ganz herzlich,
    deine diana

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